
Endlich ist das passiert, wovon jeder (ich) schon immer geträumt hat: Wir waren mutterseelen alleine im Kinosaal. Nur eine Freundin, ich und reihenweise leere Sitze.Es ist Juni; die Sonne brannte an diesem schwülen Sommermontag bereits mit den ersten Strahlen. Es war so ein Tag, an dem man am frühen Morgen kurzärmlig das Haus verlässt und weiss, dass das leichte Schaudern der einzige fricshe Moment des Tages sein wird. Ein Tag, an dem man früh Feierabend macht, um ans Wasser zu gehen, weil man seit dem Mittag sowieso nichts Produktives mehr zustande gebracht hat. Ein Tag, an dem obszön kurze Kleider völlig normal aussehen. KEIN Tag fürs Kino.
Aus schier unerfindlichen Gründen hat die allgemeine Wahrnehmung den Kinobesuch auf ein Programm für regnerisches Wetter und Kälte beschränkt. Dabei hatten wir uns gar nichts dabei gedacht, als wir uns vor ein paar Tagen verabredeten, 20th Century Women zu schauen.
Wie absurd unser Vorhaben von Aussen gewirkt haben muss, wurde mir erst bewusst, als uns die Frau an der Kinokasse verdutzt fragte, ob wir die jetzige Vorstellung meinten. Am frühen Nachmittag. Wo doch die Sonne schien.
Wir legten unsere Füsse hoch, kommentierten hemmungslos den Film, assen Snacks aus raschelnden Tüten und lachten laut an Stellen, die gar nicht so lustig waren – wir hatten eines der besten Kinoerlebnisse.
Der Druck des Sommers
Doch auch in der anschliessenden Kommunikation, als ich Leuten erzählt habe, was ich den Tag über so gemacht habe, schlug mir immer wieder das gleiche Unverständnis entgegen. Statt draussen unterwegs zu sein, lässt man sich knapp zwei Stunden in die komplette Dunkelheit des Kinosaals sperren. In Breitengraden, in denen der Sommer nicht endlos ist, wirkt das verrückt, ich gebe es ja zu. Jeder verpasste Sonnenstrahl kommt einer vertanen Chance gleich. Schönes Wetter hat etwas unangenehm Verpflichtendes, aus jeder Sonnenstunde eine unvergessliche Erinnerung zu machen, nach der man sich an den regnerischen Wintertagen zurücksehen kann.
Diese Mission schwingt immer mit und macht den Sommer so verheissungsvoll. Es ist dann, dass unser hundsgemeine Alltag diesen verklärten Filmen am nächsten kommt, in denen alles möglich scheint, jeder Tag etwas Aufregendes birgt und jede Begegnung schicksalhaft ist. Im Sommer hat das Leben mehr Bedeutsamkeit. Für diese magische kurze Zeit spielt sich alles draussen ab, man geht im Stockdunkeln baden und stolpert durch stickige Nächte, noch in den kurzen Kleidern vom Tag und zu viel Wein im Kopf, um an den nächsten (Arbeits-) Morgen zu denken.
Vive la Rebellion!
Doch was ist das für ein falsches Spiel, das diese Jahreszeit da mit unseren Gemütern treibt? Leichtigkeit und Laissez-faire vorgaukeln, aber sobald zwei U30-Jährige nicht-mehr-Studentinnen sich bei schönem Wetter ins Kino setzen, stossen wir an die Grenzen unserer Toleranz!
Oh, man möge uns glauben, wir haben diesen Eskapismus verdient. So ein Montag, an dem alle hinter verschlossenen Bürotüren verschwinden, kann ziemlich bedrückend sein, wenn man nicht arbeiten muss. Teilzeit-Falle, Freizeitstress und die Erwartungen an einen selbst, mehr aus den freien Tagen zu machen als den Haushalt. Burnout war gestern, heute droht uns der Boreout! Doch nicht an diesem Montag; in dem kleinen, leeren Kinosaal haben wir den wahren Kern des Sommers aufleben lassen! Wir sind der Mühle entflohen und nicht im Strom der Masse gelandet! Wir waren im Kino; und es schien die Sonne; und es war herrlich.
Diesen Montag machten wir das Beste daraus und taten das, was sich in der ganzen Stadt niemand traute. Wir setzten uns in den klimatisierten dunklen Saal. Wir schauten einen Film, den wir bald vergessen haben würden. Und wir lebten damit diese wunderbare Jahreszeit: Sommer ist Rebellion gegen den Alltagstrott! Also auf ins Lunch-Kino, auf in die Matinée-Vorstellungen! Leben wir den wahren Sinn dieser langen Tage! Trotzen wir dem schönen Wetter, denn Sommer ist noch den ganzen Sommer lang.