Die Freiheit frei zu sein von Hannah Arendt

 

…dass nicht nur die vorrevolutionäre Idee der Freiheit, sondern auch die Erfahrung, frei zu sein, mit dem Beginn von etwas Neuem, mit – metaphorisch gesprochen – der Geburt eines neuen Zeitalters zusammenfiel, oder besser: eng damit verwoben war. Man hatte das Gefühl: Frei zu sein und etwas Neues zu beginnen, war das Gleiche. Und diese geheimnisvolle menschliche Gabe, die Fähigkeit, etwas Neues anzufangen, hat offenkundig etwas damit zu tun, dass jeder von uns durch die Geburt als Neuankömmling in die Welt trat. Mit anderen Worten: Wir können etwas beginnen, weil wir Anfänge und damit Anfänger sind.


 

Warum dieser Auszug?

Hannah Arendt war eine der signifikanten politischen Denkerinnen des 20. Jahrhunderts. Sie emigrierte als in Deutschland lebende Jüdin 1933 nach Paris und schliesslich nach New York. Dort beschäftigten sie über ihr ganzes Schaffen hinweg Fragen wie “Was ist Freiheit, was bedeutet sie uns?” und “Haben wir sie einfach, oder wer gibt sie uns, und kann man sie uns auch wieder wegnehmen?” Hannah Arendts hier erstmals auf Deutsch veröffentlichter Essay Die Freiheit, frei zu sein ist auch gut fünfzig Jahre nach seiner Niederschrift von ungebrochener Aktualität. Im Fokus stehen hierbei die historische Entwicklung des Freiheitsbegriffs anhand der Revolutionen in Frankreich und Amerika.

Im Nachwort schreibt Thomas Meyer, Philosophieprofessor an der LMU München: “Hannah Arendts Idee, dass mit der Geburt eines jeden Menschen, eines jeden Gedankens ein ebenso kleiner wie radikaler, jedwede historische Erfahrung und jede Form des Pessimismus widerlegender Neuanfang gemacht ist, gehört zum Unerhörtesten, was die moderne Geschichte des Denkens zu bieten hat.”

Der Essay ist durchzogen von Kants Geisteshaltung zum Sapere aude! – dem Mut sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Die Wucht dieses 40-seitigen Weckrufes reisst einen förmlich aus dem Halbschlaf namens Alltag. Ein Alltag, bei dem man sich von Schlagzeilen über Trump, Populismus und aufkommendem Nationalismus einlullen lässt – bis man angesichts der Lächerlichkeit gleichgültig wird. Aber nein: Hannah Arendt zwingt uns dazu, unsere Augen zu reiben und unser Bewusstsein zu stärken, dass wir die Fähigkeit haben, Anfänger zu sein. Das heisst, dass wir Antrieb haben. Dass wir (er)schaffen. Dass wir formen können.

 

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