Hito Steyerl: Düstere Zukunftsmusik im n.b.k.


Am Anfang der Hito Steyerl Ausstellung steht das Video This is the Future, eine blurry Unterwasserwelt, die an Windows Bildschirmschoner erinnert, über die einige Ambient-Beats laufen und in der sich Heja vorstellt. ––– Nein, das stimmt so nicht. Genaugenommen stand am Anfang der Ausstellung vor allem eins: Eine riesige Ansammlung von Menschen, die sich an diesem kalten November-Abend zur Vernissage in den n.b.k. (Neuer Berliner Kunstverein) eingefunden hatte und darauf wartete, im nächsten oder übernächsten Schwall zu sein, der in den dunklen Raum mit dem Video vorgelassen wurde.

Wundern sollte einen das ja nicht, denn die Arbeiten der deutsch-japanischen Künstlerin sind schon seit längerem auf dem internationalen Kunstparkett bekannt, doch spätestens mit ihrem Beitrag zum Deutschen Pavillon an der Biennale in Venedig 2015, der den Titel «Factory of the Sun» trägt, hat sie sich als eine der relevantesten Positionen der Gegenwart etabliert (hier ein Google Arts & Cultures Beitrag dazu). Ihre kritischen Videoarbeiten sind Teil vom grösseren Kontext ihrer Arbeit, in dem sie sich schon lange zwischen Theorie und Praxis Fragen zur Überschneidung vom Digitalen, der Kunst, Politik und Kapitalismus stellt. Nun, da das gesellschaftliche Ohr zu diesen Themen aufhorcht, freut sich auch das kunstaffine Auge sie in den letzten Jahren immer öfter zu sehen.

Als ich sie 2018 an einem Talk erlebt habe, bin ich vor allem Fan ihres subtilen Humors mit zynischem Einschlag, den man unbedingt im Hinterkopf behalten sollte, wenn man sich ihre komplexen Arbeiten anschaut. Sie ist Professorin für Experimentalfilm und Video an der Universität der Künste Berlin und Mitbegründerin des Research Centers for Proxy Politics – den Ansturm zur Vernissage hätte man sich also denken können (obwohl the artist not present war).

Beim zweiten Schwung waren dann auch wir dabei und sassen ehrfürchtig vor der semi-transparenten Leinwand, auf der sich nun Heja zu Wort meldete. Heja ist ein Produkt der Artificial Intelligence (oder die AI selbst?), die den Bruchteil einer Sekunde in die Zukunft blicken und daher eine 100% akkurate Vorhersage über sie treffen kann, die sich allerdings nicht zwangläufig erfüllen muss.

Die 16-minütige Einstimmung auf dieses dystopische Konstrukt Zukunft war auch an der diesjährigen Venedig-Biennale zu sehen. Dort hatte es aber einen viel deutlicheren lokalen Bezug, denn in Leonardo’s Submarine waren die Unterwasserwelten Renderings eines von AI erschaffenen Venedigs, mit künstlichen Wasserwegen, Landschaften und Brücken. Klar, es funktioniert auch in Berlin Mitte an diesem kalten Novemberabend, schliesslich geht dieses Gräuel Zukunft uns alle etwas an.

Echte Wissenschaft mit botanischer Phantasie

Nach dem Video ist vor der Rauminstalltion. Nach den 16 Minuten wechselte man in den Raum hinter der Leinwand, der überraschend gross ist. Die Monitore an den Gerüstkonstruktionen bauen einen seltsam verwinkelten Raum, der an eine Art digitalen, verwunschenen Garten erinnert, in denen sich verschiedene Pflanzenarten abwechseln. Visuell ein einziger Trip, vor allem wenn, wie an diesem Abend, der sehr dunkle Raum mit Besuchern voll ist und sich die blinkenden Lichter und Schriftzüge in den Gesichtern der grüppchenweise zusammenstehenden Leute spiegeln und ihre Silhouetten und lauten Gespräche zusätzliche Accessoires der Installation werden.

Ausstellungsansicht der PowerPlants von Hito Steyerl im n.b.k.
Foto: Neuer Berliner Kunstverein/ Jens Ziehe

Erst dachte ich, dass die vielen erhobenen Handys das übliche Filmen und Fotografieren wären, das inzwischen zu jedem Ausstellungsbesuch fast dazugehört – optisch gibt der Raum ja auch einiges her –, doch dann fiel mir die App ein, die ich mir am Morgen noch heruntergeladen hatte, nachdem ich den Hinweis auf der Website des n.b.k. gelesen hatte.

Down the rabbit hole

Und hier wird die Ausstellung dann wirklich meta. Die App mit dem Namen Power Plant OS erweitert den Raum mit einer Augmented Reality Funktion um eine digitale Sphäre, die auf den Bildschirmen Schriftzeichen und Texte in verschiedenen Sprachen übereinanderlagert und den sowieso schon psychodelisch angehauchten Raum völlig nicht-von-dieser-Welt scheinen lässt. Es geht also nicht nur im Video um AI und AR, sondern der Teil wird auch erfahrbar, was schnell wie ein didaktisches Konzept und damit eher lahm klingt, in der Welt von Steyerl aber in konsequent irritierendem Stil weitergezogen wird, sodass zu keiner Zeit dieses Gefühl von zu-sehr-gewollt-sein aufkommt, das einen bei der Virtual/Augmented-Reality-Thematik in den Künsten oft befällt. Mich zumindest.

Zugegeben, im Tummel der Vernissage gingen die wirklichen Inhalte der bunten Texte, die da durch den Raum schwirrten, unter. Doch dank der Lesefunktion der App erscheinen die süffisanten Kurztexte zu einer Botanik der Zukunft auch noch ausserhalb des Ausstellungsraums und erweitern den Einblick in diese 100% wahrscheinliche Zukunft um Gedichte und Weisheiten, die einen lächerlichen halb-wissenschaftlichen Anstrich aufweisen:

Auch diese Installation gab es bereits anderswo zu sehen. Im April/Mai 2019 konnte man in den Serpentine Galleries London mithilfe der App in die Actual Reality eintreten. Die Standorte der Gallerie liegen im Royal Park in Kensington Gardens, in einem London, das von sozialen Spannungen und Ungleichheit bestimmt ist. Mit der App wurden Spaziergänge durch den Park angeboten, die die Wirklichkeit aufzeigten – die actual reality – und mit umfangreichen Statistiken und Zahlen ein anderes Bild der Gegend zeichneten, als es in der Kunstbubble der Serpentine Galleries vorherrscht.

So verwendet war die Wirkung der App bitterböse sozial- und systemkritisch und hat sogar in London die Debatte um den Sackler-Sponsorenskandal, die einen kompletten Standort der Gallerie gesponsert haben, neu angefacht. In der Version, die es in Berlin zu sehen gab, fehlt leider der Zündstoff, doch die Steyerl-Welt ist sowieso meta und umfassend genug, um den ganzen Kontext sowiese schon zu antizipieren, wenn man sich darauf einlässt, eine Ausstellung von ihr zu besuchen.



Hito Steyerl, 23. November 2019 – 26. Januar 2020 im n.b.k.

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