Fiktionen für eine bessere Realität


Dieser Text wurde für ContemporaryAnd geschrieben.

Prolog: Letzthin wurde ich von einem Museumskommunikationsmenschen gefragt, ob ich denn neben meiner Arbeit für kurious noch Zeit für anderes hätte, was mich hat gönnerhaft-bitter auflachen und grossmütterlich den Kopf hat schütteln lassen, denn im Prinzip ist es genau anders herum. Wenn all das andere Arbeiten ein Eckchen Zeit übrig lässt, versuchen wir noch ein wenig kurious hineinzupassen.

Manchmal erigbt sich jedoch der angenehme Fall, dass sich beide Welten überschneiden: Die Artikel aus dem kulturjournalistischen Alltag machen auch für kurious Sinn und auch wenn sie nicht in der hier prominenten lockerfrei-aus-dem-Ärmel-heraus-Formulierungtradition geschrieben sind (und weniger Anglizismen und Kraftausdrücke enthalten), so bringt es dem geneigten kurious-Leser hoffentlich trotzdem etwas. Im Prinzip sind es die gleichen Gedanken, nur Business Casual gekleidet.

Im vorliegenden Fall geht es um die Ausstellung FIKTION KONGO im Museum Rietberg und in einem Satz lässt sie sich so zusammenfassen: Historisches Material wird geschickt mit zeitgenössischen Positionen von kongolesischen Künster_innen zusammengebracht und so entsteht eine spannende Perspektive auf die Themen, mit denen sich Kolonialeuropa mächtig reingeritten hat. Ohne es selbstkasteiend laufend zu thematisieren. OK, das waren zwei Sätze, was soll der Geiz. Hier also der ganze Spass:

© Museum Rietberg Zürich

Das Züricher Museum Rietberg vereint angenehme Kontraste. Seine Ausstellungsfläche verteilt sich auf drei historische Villen aus dem 19. Jahrhundert und wird von einem eindrücklichen Neubau namens „Smaragd“ ergänzt, der mehrere Stockwerke unter die Erde führt. In diesem Setting befindet sich das einzige Museum des Landes, das sich traditioneller und zeitgenössischer Kunst aus Asien, Afrika, den Amerikas und Ozeanien widmet. Seine renommierte Sammlung ist beeindruckend, umfasst über 23.000 Objekte und noch mehr ethnografische Fotografien.

© Museum Rietberg Zürich

Wenn die Debatten der letzten Jahre allerdings etwas gezeigt haben, dann wohl, dass sich Kunstobjekte und ihre Herkunftsgeschichten kaum noch voneinander getrennt betrachten lassen. Das Vermögen, das diese historischen Villen im malerischen Park in Zürich ermöglicht hat, stammt aus Handelsbeziehungen, die weit über die Grenzen der Schweiz hinaus reichen. Und doch hält sich die Fiktion einer europäischen Geschichte, die nicht parasitär mit den außereuropäischen Kulturen verwoben ist, hartnäckig.

Wie also geht ein Schweizer Museum, das sich explizit der außereuropäischen Kunst verschrieben hat, damit um? Die aktuelle Ausstellung FIKTION KONGO im Rietberg zeigt: sehr geschickt. Die Kuratorinnen Michaela Oberhofer und Nanina Guyer lassen historische kongolesische Objekte und Fotografien aus dem Nachlass des deutschen Ethnologen Hans Himmelheber aus den 1930er Jahren mit Positionen zeitgenössischer Künstler*innen aus der Demokratischen Republik Kongo und der Diaspora aufeinandertreffen.

Das Ergebnis ist eine vielfältige Ausstellung, die nach Themenschwerpunkten gegliedert wurde und die historischen Bedingungen, unter denen manche Objekte produziert wurden, nachvollziehbar macht. Zusammen mit der Universität Zürich wird darüber hinaus nicht nur im Nachlass geforscht, sondern auch vor Ort ein Diskurs über koloniales Erbe angestoßen.

FIKTION KONGO macht dennoch keinen Hehl daraus, dass es sich auch bei den Erkenntnissen, die sich in der Ausstellung eröffnen, um reine Projektionen handelt. Projektionen westlicher wie afrikanischer Ideen, denn das Gebiet der Demokratischen Republik Kongo zeichnet ein vielfältiges Kunstschaffen aus; und Kunst und Fiktion schöpfen gleichermaßen aus dem Imaginären.

Statt eines einseitig westlichen Blicks auf die Objekte aus Himmelhebers Sammlung, stehen zeitgenössische Kunstschaffende im Zentrum. Dass das nicht in der gönnerischen und genauso fehlgeleiteten „Wir-geben-marginalisierten-Positionen-eine-Stimme“-Manier passiert, zeigt sich bereits im ersten Raum der Ausstellung.

Auf der Stirnseite des Raums läuft ein kurzes Video, in dem schwarz-weiß-Fotografien zu sehen sind, über die ein Sprecher Tagebucheinträge liest. Es sind die Gedanken Hans Himmelhebers, der 1938 und 1939 zum ersten Mal den Kongo bereiste. Die Objekte aus der Sammlung, die vor einigen Jahren in den Besitz des Museums Rietberg übergegangen sind – Masken, Stoffe und tausende von Fotografien –, bilden den Ausgangspunkt der Ausstellung.

© Museum Rietberg

Zu beiden Seiten des Raums werden jedoch auch Videos gezeigt, in denen die zeitgenössischen Künstler*innen der Ausstellung zu sehen sind. Während Himmelhebers Tagebucheinträge davon berichten, wie er sich für einen lächerlichen Preis in hängemattenartigen Tragevorrichtungen durchs Land schleppen ließ, sind die Blicke der vierzehn Künstler*innen fast physisch präsent. So wechselt die Perspektive, und die Besucher*innen der Ausstellung werden zu Betrachteten.

„There is no nonviolent way to look at somebody“, proklamierte kürzlich eine Ausstellung von Wu Tsang, die am Zürcher Schauspielhaus als Regisseurin arbeitet. Doch es sind nicht die Blicke der Künstler*innen, die Gewalt in sich tragen, es ist der Moment des Perspektivenwechsels. Im Video mit den Fotografien läuft die koloniale Vergangenheit und die Gegenwart des Kongos schaut zu. Wirkungsvoll wird bereits im ersten Raum der Ausstellung klar: Das Betrachten der Geschichte ist längst nicht mehr im luftleeren Raum möglich.

Spielerische Dialektik

Statt in eine didaktische Vergangenheitsbewältigung abzudriften, nehmen sich die Kuratorinnen Inhalten und Bedeutungen der Kunstgegenstände lustvoll an. Der Bereich «Design und Eleganz» beispielsweise zeigt Kunst, die einen stark visuellen Ansatz verfolgt. Verschiedene Arbeiten der Kuba aus Holz und Muscheln sind ausgestellt, doch vor allem ihre Textilkunst mit vielfältigen abstrakten Formen steht im Fokus. Ein sechs Meter langer Stoff, dessen Muster sich an den Reifenabdrücken eines Motorrads orientiert, zeigt die Vermischung von Tradition und neueren Einflüssen. Die Fotografien von Yves Sambu porträtieren die modebewussten, extravagant gekleideten Sapeurs in Kinshasa. Und die dem Modestil zugrunde liegende selbstbewusste Grundhaltung und Klasse thematisieren die Arbeiten von Fiona Bobo, die Sapeurs in Zürich aufgespürt hat.

Die Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart werden unterschiedlich hergestellt: Mal formal, wie im Bereich «Power und Politik», wo die spirituelle Bedeutung hölzerner Kraftfiguren thematisiert wird, die einer modernen Version der Holzstatue von Hilary Kuyangiko Balu gegenübergestellt sind. Mal thematisch, wenn Sammy Baloji eben jene Figuren röntgen und durchleuchten lässt und so auf versteckte Gegenstände hinweist, die ihre rituelle Wirkung ausmachen. Oder direkt, wie in der Installation von Michèle Magema, die sich einiger der zahlreichen ethnologischen Fotografien annimmt und die Motive darauf symbolisch «reclaimed», indem sie sie in ihren Arbeiten modifiziert und ihre Geschichte damit weiterentwickelt.

Ein Teil der Künstler*innen hat sich im Rahmen eines Residenzprogramms intensiv mit den historischen Objekten des Ethnologen Himmelheber auseinandergesetzt, andere Arbeiten entstanden im Auftrag für die Ausstellung. Sinzo Aanzas Installation vermischt seine poetischen Texte mit Soundaufnahmen aus den Dörfern, die Himmelheber besucht hat, und multipliziert so den Weg zwischen Europa und Afrika.

Unter dem Schlagwort «Kunsterwerb und Forschung» öffnet sich schließlich der Blick auf die Kontexte, in denen die Objekte von Himmelheber erworben wurden und die nun das visuelle Schwelgen in der beeindruckenden Fülle von Masken, Figuren, Stoffen und Handwerkskunst in diesem Zürcher Museum ermöglichen.

Im Bereich «Meine Vision Kongo» sind Interviews mit Künstler*innen der Ausstellung und anderen Kulturschaffenden zu sehen, die über den historischen Moment sprechen, in dem wir uns gerade befinden. Ein Moment, der vom genauen Blick auf die Unschärfe der Geschichte geprägt ist. Ohne moralisierende Botschaft bleibt nach dem Besuch das Gefühl zurück, den Diskurs nicht nur endlich richtig führen zu wollen, sondern zu müssen. Weil er viel zu lange den einseitigen Fiktionen erlegen ist.

So zeigt FIKTION KONGO eine Ausstellungspraxis, die den außereuropäischen Diskurs im europäischen Rahmen voranbringt. Und selbst wenn es nur Fiktionen sind, die dadurch entstehen, so zapfen sie doch die imaginären Ressourcen an, aus denen schließlich neue Realitäten entstehen. In der Kunst selbst und über sie hinaus.



Die Ausstellung ist noch bis 15. März 2020 im Museum Rietberg zu sehen.

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