Picassos Jahr 1932

 

Paris, 1932. Pablo Picasso, 49 Jahre alt, inzwischen unglücklich verheiratet und mit Kind, gibt sich ganz seiner 23-jährigen Affäre hin und kreiert sinnliche Gemälde, die heute Rekordsummen an Versteigerungen erzielen. Mit Année erotique setzt das Musée Picasso Paris den 365 Tagen im Leben des Künstlers ein Denkmal.

Paris, 2017. Ich, 27 Jahre alt, glücklich unverheiratet und ohne Kind, besuche endlich mal wieder dieses Zentrum der Welt. Ich reise allein, habe einen ambitiösen Plan was ich alles sehen und machen möchte und finde mich in einem Museum wieder, das ich eigentlich nie besuchen wollte: das Musée Picasso im Marais.

Um mich gleich mal des Rechtfertigungsdrucks zu entledigen: Es ist nicht so, dass mich Picasso per se nicht interessiert. Nur beim Abwägen was auf die ambitiöse Paris-Liste gehört, fallen diese Museen, die nur einem Künstler gewidmet sind und noch dazu bei mehrmaligem Vorbeilaufen absurd lange Menschenschlangen davor haben, meistens raus.

Nichtsdestotrotz finde ich mich in Année erotique wieder und das – wie könnte es passender sein – auf einem Rendez-vous. Ob da ein Hintergedanke dabei war, als mein charmanter Pariskontakt genau diese Ausstellung vorgeschlagen hat, sei dahingestellt. Der Nervosität ist es nicht gerade zuträglich, als ich im diesmal fast menschenleeren Innenhof des ehemaligen Stadtpalais stehe. Ich hatte so gut wie nichts über die Ausstellung gelesen, aber der Titel der Picassos Jahr 1932 plakativ “erotisch” nennt, lässt einiges erwarten.

Das Jahr 1932 gilt als eine der produktivsten Phasen Picassos. Vor allem seine Serie von Gemälden, die von seiner Geliebten, dem 23-jährigen Modell Marie-Thérèse Walter inspiriert ist, sorgt damals wie heute für Furore. Manchen der Bildern wird nachgesagt, sie seien innerhalb eines einzigen Tages entstanden, wie auch Le Rêve, das 2006 als zu der Zeit teuerstes Gemälde der Welt verkauft werden sollte. Leider passierte dem damaligen Besitzer ein Missgeschick und er durchstiess auf der Abschiedsparty des Bilds die Leinwand mit seinem rechten Ellbogen; der Deal platzte, das Gemälde musste restauriert werden, aber wechselte 2013 für nochmals 20 Millionen Dollar mehr den Besitzer.

All das lese ich jedoch erst später nach – in der Ausstellung ist das einzige, was ich über Le Rêve erfahre, dass man ihm nachsagt, Picasso hätte es kurz vor dem ersten Liebesakt mit Marie-Thérèse gemalt, informiert mich meine Begleitung mit einem Seitenblick.
– Ce n’est pas étonnant, Marie sieht auch traumartig entrückt und ein wenig unnahbar aus, entgegne ich. Wie ein Traum eben.
– Wenn man das angedeutete Geschlechtsteil in ihrer rechten Gesichtshälfte nicht zählt, ja, könnte sie etwas unschuldiges haben.
– Année erotique, wie konnte ich das vergessen…

Welches Bild soll ich dir schenken?
Auch schon ohne den aufgeladenen Inhalt dieser Ausstellung ist ein gemeinsamer Museumsbesuch ein Mini-Experiment. Läuft man zusammen durch die Räume oder sieht man sich am Ende erst wieder am Ausgang? Wie viel reden? Und über das, was zu sehen ist, oder Allgemeines? In so einer Ausstellung wie der, durch die wir heute aufgekratzt stolpern, und mit dieser Begleitung gibt sich alles sehr natürlich. Welches Gemälde soll ich dir stehlen?

Die Wahl fällt auf Jeune fille devant un miroir aus, ein Meisterwerk aus dem farbigen Stilmix von Kubismus, Surrealismus, Modernismus und symbolischen Elementen des Künstlers. Die Farben, die junge Frau mit ihren zwei Seiten, der Moment der vermeintlichen Unbeobachtetheit…

Eine Ausstellung wie ein Tagebuch
Chronologisch führt das Musée Picasso durch das Jahr 1932 des Künstlers. Jeder Raum stellt einen neuen Monat dar und dokumentiert, was in Picassos Arbeitsleben lief. 1932 ist das Jahr der weltweiten Wirtschaftskrise, im Nachbarland Deutschland schafft die NSDAP im Sommer den politischen Vorstoss, während die Karriere des Künstler anzieht.

Eine erste Retrospektive in der Galerie Georges Petit findet im Sommer 32 statt, die im Oktober ins Kunsthaus Zürich weiterzieht – die erste nur dem Künstler gewidmete Museumsausstellung! Ein Artikel des renommierten Psychologen Carl Gustav Jung attestiert Picasso Geisteskrankheit, verreisst moderne Kunst allgemein und trägt somit zwar nicht zur Beliebtheit, aber sicher zur Bekanntheit des Wahlparisers bei. Erste Kataloge erscheinen und selbst in meinem hibbeligen Gemütszustand erkenne ich, wie dicht die Ereignisse 1932 für Picasso aufeinander abfolgen.

In der klaren Struktur von Januar bis Dezember wirkt Année erotique wie ein Tagebuch, durch das man spazieren kann. Statt thematisch geordnete Werke zu sehen, bringt der Querschnitt durch die Arbeit eines Jahres einen viel plastischeren Einblick…muss ich meine Meinung über nur-einem-Künstler-gewidmeten Museen ändern?

 

Letztendlich froh, auf diesem Wege Picasso doch noch einen Besuch abgestattet zu haben, verlassen wir das wunderschöne Palais wieder. Beim Abschiedsfoto des Treppengangs fragt er noch, ob ich über unseren Ausflug schreiben werde. – Wenn mich die Ausstellung in einigen Tagen oder Wochen noch immer beschäftigt, dann schon. Si tu lis ceci,  nous devrions répéter cet après-midi 1932 à Paris.

 


 

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