A Thirst for Miracles von Odysseus Elytis

 

The journey of Odysseus – whose name I happen to have been given – never ends, it would seem. And that is fortunate. One of our greatest contemporary poets told us that the deepest meaning of the journey isn’t the arrival in Ithaca, which is a finishing, an end: it’s the journey itself; the adventures and the learning.

Man’s need to discover, to understand, to make myths about all that surpasses him seems incurable. We all have a thirst for miracles; an urge to believe in miracles; all we have to do is to be ready; to wait.

Elytis’ speech at the Nobel Banquet, December 10 1979


 

Warum dieser Auszug?

Das Motiv des Wartens und des Bereitseins ist unter Schriftstellern, Dichtern, Philosophen, Sängern und Kunstschaffenden weit verbreitet. Der österreichische Arthur Schnitzler schrieb 1927 in seinem Buch der Sprüche und Bedenken “Bereit sein ist viel, warten können ist mehr, doch erst den rechten Augenblick nützen ist alles.”

Die Protagonistin in Rachel Kushners Roman The Flamethrowers lässt heroisch die Zeit an sich vorbeiziehen: “You have time. Meaning don’t use it, but pass through time in patience, waiting for something to come. Prepare for its arrival. Don’t rush to meet it. Be a conduit. Some people might consider that passivity but I did not. I considered it living.” Die Protagonistin in Kushners 2013 erschienenem Roman empfindet also den Schwebezustand des Bereitseins für und des Wartens auf den richtigen Augenblick als das wahrhaftige Leben.

Und Norah Jones singt melancholisch und voller Leidenschaft von ihrer bittersüssen Sehnsucht nach ihrem Liebsten: “Like a flower waiting to bloom. Like a lightbulb in a darkroom. I’m just sitting here, waiting for you to come back home and turn me on.” Es scheint fast, als ob die Sängerin durch das Zuschreiben eines Wartezustandes Objekte zum Leben erwecken würde: Eine Glühbirne wartet. Das lässt den Gegenstand schon viel mehr am Leben teilhaben, als wenn es einfach existieren würde.

Die klassische Philosophie behauptet, Glück bestünde darin, nichts mehr herbeizusehnen. Also zu erwarten, auf bestimmte Art angekommen zu sein. Es geht also ums Warten um des Wartens Willen. Somit geht Warten also immer auch der Frage nach dem eigenen Glück nach.

Warten vs. Leistungsgesellschaft: Lässt sich das vereinen?

Doch wie lässt sich dieses Warten mit unserer heutigen Leistungsgesellschaft vereinen? Das Warten auf den Zug, auf eine Email oder auf die Antwort eines Callcenter Mitarbeiters, während man in der Warteschlaufe festhängt. Das sind Dinge, die wohl kaum als angenehm wahrgenommen werden. Geschweige denn als ein Bereitsein für den richtigen Augenblick, für das Leben. Warten gilt als passiv, und nicht als aktive Teilhabe. Warten wird “erlitten”. Hat der Mensch überhaupt Zeit zum Warten?

Warten lässt sich schwer mit der heutigen Leistungsgesellschaft vereinen. Doch das liegt eher an der Fehlüberlegung, dass Produktivität schnell gehen muss. Das äussert sich auch an den kurzsichtigen Entscheidungen, die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft getroffen werden. Beispiel Wirtschaft: Ein Manager bleibt durchschnittlich maximal 5 Jahre an der Spitze eines Unternehmens. Das heisst, er wird für seine Entscheidungen diesen Zeithorizont als Referenzwert nehmen, denn nur so lange muss er vor den Eigentümern Rechenschaft ablegen können. Alles, was danach kommt, muss der Nächste mit ähnlich kurzsichtigen Entscheidungen wie ein Sisyphos hinterherräumen und “managen”.

Doch summa summarum sind wir als ganzheitliches System wahrscheinlich gar nicht viel produktiver, als wenn wir von Anfang an einen langfristigen Horizont gehabt und uns die Zeit für den richtigen Augenblick und die richtigen Entscheidungen genommen hätten. Zudem fragt sich: Was gilt denn als produktiv, wer beurteilt das? Der französische Offizier Fernand Braudel schrieb während seiner fünfjährigen Gefangenschaft im zweiten Weltkrieg eines der monumentalsten Geschichtsbücher: La Méditerranée et le monde méditerranéen  à l’époque de Philippe II. Braudel muss ein enzyklopädisches Gedächtnis gehabt haben, denn er schrieb das über 1000-seitige Werk ohne Zugriff auf sein Archiv in Frankreich. Das Ausharren in der Zelle verleitete Braudel also dazu –  in moderner Terminologie – “hochproduktiv” zu sein.

Ein Appell zum Umdenken

Es drängt sich also die Forderung auf, das Warten endlich zu entstigmatisieren. Es reicht schon, wenn der Begriff der Produktivität ausgeweitet und nicht mehr nur mit kapitalistischer “Geldanhäufung” gleichgesetzt würde. Dann hätte das Warten, das ein zentrales Element und Nährstoff für den menschlichen Geist ist, schon einmal einen Platz in der Leistungsgesellschaft gewonnen. Radikaler wäre es, den Stellenwert und die Bedeutung von “Produktivität” ganz zu hinterfragen. Wie wäre es, wenn das Warten, das Bereitsein für den richtigen Augenblick, der Produktivität vorangestellt würde und nicht umgekehrt?

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