Dear to Me: Über Synästhetik, Bregenz und Glühwein

 

“Denken ist eine Linie, Emotionen sind Raum. Ich liebe das Denken in Bildern. Räume schaffen können, die berühren, wie gewisse Passagen in der Musik von Mahler oder Wagner, komponiert mit den Mitteln von Schönberg oder Webern, mit der Energie und Transparenz von Strawinski – das wäre schön.” – Peter Zumthor

Man könnte meinen, dass der Schweizer Architekt Peter Zumthor, der 2009 für sein Lebenswerk mit dem prestigeträchtigen Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde, ein Synästhetiker ist. Farben zu hören und Klänge zu sehen ist eine Fähigkeit, die (angeblich) nur wenigen Menschen in die Wiege gelegt worden ist. In der Kunstgeschichte ist bekannt, dass Wassily Kandinsky über diese besondere Form der Wahrnehmung verfügte und beim Musizieren Farben sah.

Aber jetzt ein Fest!

Der 1943 geborene Zumthor geht bei seiner Arbeit so vor, dass er sich immer erst in den Ort einfühlt. Das Gebäude soll sich in den Ort einfügen. Emotionen, Berührungen, Klänge, Erinnerungen und natürlich die Frage nach der Ästhetik spielen dabei eine grosse Rolle. Die Gefühle, die ein Gebäude, beziehungsweise ein Raum, auslösen kann, sind zentral. Es geht in seiner Architektur also nicht nur um Linien. Um Formen. Um Funktionen. Die wohl bekanntesten Zeugen seines Schaffens sind die Therme in Vals im Kanton Graubünden und das Kunsthaus in Bregenz. Letzteres darf der Architekt noch bis am 07. Januar 2018 unter dem Titel Dear to Me bespielen. Das Kunsthaus gibt ihm die Gelegenheit, ein grosses Fest der Künste auszurichten, zu dem alle eingeladen sind.

Das Leben ist zu kurz. Es gibt so viele Dinge, die ich erlebt habe, getan habe, aber unendlich gross ist die Anzahl der Dinge, die ich noch erleben und verstehen möchte.

Das Kunsthaus Bregenz gibt dem am-Leben-teilhabenden Gesamtkünstler die Gelegenheit, seinen Drang nach Erkenntnis  zu stillen, Träumen nachzujagen und seine Erörterungen mit den Besucherinnen und Besuchern zu teilen. Zumthor organisiert in Zusammenarbeit mit Künstlern, Schriftstellern und Musikern diverse Veranstaltungen und verspricht dabei nicht wenig: Konzerte, Lesungen und Gespräche sollen hochkarätig, anspruchsvoll, überraschend, lustvoll, spielerisch, versponnen, volkstümlich und ausgelassen sein.

Ein Gesamterlebnis

Mit meinem Freund bin ich am ersten Adventswochenende nach Bregenz gereist, um die Ausstellung zu besuchen und in der Stadt zu bummeln. Das Gebäude des KUB (Kurzform für Kunsthaus Bregenz) liegt direkt am Bodensee. Als wir davor standen, konnte ich sogleich nachvollziehen, was mit dem ganzen Synästhetik-Gefühle-Linien-Einfügen-in-Orte gemeint war. Das KUB, das übrigens aussieht wie ein Kubus (bestimmt rein zufällig!), ist ein wahres Gesamtkonzept. Im Gegensatz zu meinem Freund bin ich keine Architektin und konnte Lichteinfälle, Materialien und Geometrien weniger gut (beziehungsweise gar nicht) einschätzen. Aber das Museum, sowohl Innen wie Aussen, hat auf mich wie ein auf einem Flohmarkt gefundenes Schmuckstück gewirkt. Wie etwas Wunderbares, das mich auf einer ganz persönlichen Ebene in den Bann zieht und nicht mehr loslässt. Völlig vernarrt bin ich also in den Räumlichkeiten umhergewandelt und wurde gleichzeitig von bittersüssen Melodien einer Cellistin in Mitten einer labyrinth-artigen Bibliothek mit antiken Büchern verzaubert. Das klingt nun alles wahnsinnig schräg. Wahrscheinlich kann man sich darunter nichts Konkretes vorstellen. Muss man aber auch nicht. Der Besuch der Ausstellung Dear to Me ist wirklich ein Gesamterlebnis, auf das man sich am Besten möglichst unvoreingenommen einlässt, um in die Welt von Zumthor einzutauchen und alles auf sich wirken zu lassen.

 

Ein Gesamterlebnis, Teil 2

Das einzige, was das Gebäude nicht kann: Das KUB fügt sich nicht in den Ort ein. Das hat aber damit zu tun, dass Bregenz schlichtweg hässlich ist. Und dass Zumthor deshalb wahrscheinlich den Bodensee und nicht die umliegende Stadt als “Ort” genommen hat. Für ein ganzes Wochenende inkl. Übernachtung war es dann also doch ein bisschen zu viel des Guten. Ein Tagesausflug reicht völlig aus. Wer es noch in der Adventszeit nach Bregenz für die Ausstellung schafft, kann seine/ihre Sinne mit einem anschliessenden Glühwein beim Weihnachtsmarkt neben dem Museum beglücken. Das Restaurant Goldener Hirschen bietet angemessene Verpflegung, um gegen den Winter anzukommen: Blutwürste, Wiener Schnitzel, Sauerkraut und Terrinen stehen im altehrwürdigen Gasthof auf der Speisekarte. Mit dem Zug von Zürich aus schafft man das alles an einem Tag. Die Verbindung ohne Umsteigen dauert pro Fahrt ca. 1.5 Stunden. Mit Halbtax zahlt man insgesamt etwa 50 CHF. Der Eintritt ins Museum kostet ohne Reduktion 9 Euro. Wer daraus einen Sonntagsausflug macht und bereits gegen 11 Uhr vor Ort ist, kann Peter Zumthor im Rahmen einer losen Gesprächsreihe mit Künstlern hautnah erleben. Klingt gut, oder? Also nichts wie los, bevor die Ausstellung wieder vorbei ist.

Hier findest du mehr Informationen zum Programm.

Hier ein Beitrag über Peter Zumthor in der Sternstunde Philosophie

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