In allen Lebensbereichen, so glaube ich, zeugt rasches Zur-Sache-Kommen und umstandsloser Vollzug von Verrohung. […] Ich möchte einen Satz zitieren, der mir im Kopf geblieben ist, weil mich, als ich ihn hörte, ein Grauen überkam.
Er stammte aus dem erwähnten Hotelzimmerfilm, er stammt aus dem Mund einer Frau und ist oder war an ihren agierenden Partner gerichtet. Du fickst wie eine Maschine, hat sie ihm zugerufen, und sie hat es als anspornendes Lob gemeint. Wenn Männer und Frauen wirklich davon träumen sollten, wenn sie sich wirklich wünschten, einander auf so rohe Weise abzufertigen – müsste man diese Träume und Wünsche nicht als pervers bezeichnen?
Warum dieser Auszug?
Das Phänomen des Einmal-Nach-Links-Wischen, um bei einem Match kurz die sexuellen Vorlieben auszutauschen (je versauter, desto begehrter – wohlbemerkt), und sich nach einem Statement wie “Ich suche nichts Ernstes” kurz danach in der Doggy Style-Position wiederzufinden, ist Symptom dieser von Markus Werner beschriebenen Gesellschaft, die sich Wünsche und Träume einredet, die vielleicht gar keine sind.
Gerade Frauen könnten sich einreden, dass sexuelle Abfertigung von Selbstbestimmtheit zeugt. Dass zu einer emanzipierten Frau der ungezwungene Doggy Style einfach dazugehört – denn eine Frau, die immer nur im Rahmen einer festen Beziehung Sex in Missionarsstellung hat, kann ja kaum selbstbestimmt sein. Und zum Mann-Sein gehört, wie eine Maschine ficken zu können. Es ist ja auch gar kein Problem, wenn man sich aus freiem Willen für ein rasches Zur-Sache-Kommen entscheidet. Nur: Wie frei sind wir, wenn wir entscheiden? Wie viel “Leistungsgesellschaft” ist bereits in unsere intimste Sphäre vorgedrungen? Wie viel wird uns glauben gemacht?
“Es ist eine Sexualisierung da, durch die Medien und unsere Gesellschaft. Doch gleichzeitig stelle ich bei den Jugendlichen eine grosse Befangenheit fest – da ist ein grosses Fragezeichen, wenn es um die eigene Sexualität geht.”, stellt die Schweizer Filmemacherin und Gymnasiallehrerin Irene Ledermann fest, die 2015 in ihrem Kurzfilm “Best Buddies” das Thema der sexuellen Verrohung bei Jugendlichen wegen des Konsums neuer Medien und Pornographie aufgegriffen hat.
In Zeiten von Tinder, The Bachelorette, Youporn und co. sollten wir einmal kurz innehalten und uns grundlegend überlegen, was wir eigentlich von Sex, von der Liebe und vom anderen oder gleichen Geschlecht wirklich wollen. Und uns überlegen, was wir erwarten dürfen, und schliesslich erwarten wollen.
Interessiert?
Am Hang ist der letzte von sieben Romanen, den der Schweizer Schriftsteller Markus Werner geschrieben hat. Er handelt von zwei Männern, die an einem Pfingstwochenende auf der Terrasse des Hotels Bellavista im Tessin ins Gespräch kommen. Sie debattieren bis tief in die Nacht hinein und erzählen sich schliesslich auch ihre persönlichen Geschichten und Liebesgeschichten. Die beiden Männer könnten unterschiedlicher nicht sein. Der Protagonist, Clarin, ist Scheidungsanwalt und überzeugter Junggeselle. Er trifft auf den älteren, scheinbar verwirrten Lehrer Loos, der kürzlich seine Frau verloren hat. Dass sie mehr gemeinsam haben, als man anfangs vermuten würde, stellt sich im Verlauf des Gesprächs heraus.
Der Roman ist als Dialog aufgebaut und entwickelt eine fiebrige, beklemmende Dynamik. Tiefgründig und zugleich spannend ist das weniger als 200 seitige Werk, das 2006 erschienen ist.
Hier kannst du es kaufen.
Der Roman wurde von Markus Imboden 2013 verfilmt