Das vergessene Kunsthandwerk

 

Vor zwei Wochen bin ich von einer Reise durch Marokko zurück gekehrt. Viele hatten mir vor der Abreise gesagt, es sei ein schönes Land. Ich musste aber ernüchtert feststellen, dass “schön” das falsche Wort ist, um das nordafrikanische, islamische Land zu beschreiben. Man kann sich natürlich darüber streiten, was Schönheit überhaupt bedeutet (hierzu empfehle ich das Buch von Umberto Eco “Die Geschichte der Schönheit”). Oder darüber, wie ein “schönes Land” zu sein hat. Marokko ist jedenfalls nicht schön im herkömmlichen, westeuropäisch geprägten Sinn. Es ist nicht Condé Nast-schön. Es ist geheimnisvoll, kontrastreich, eigensinnig, würzig, historisch. Diese Eigenschaften machen das Land wiederum schön, auf seine ganz eigene Art und Weise. Und dann ist da das traditionelle Kunsthandwerk, das in Marokko – insbesondere in Fès und Chefchaouen – mit einer Selbstverständlichkeit betrieben wird, wie bei uns die Ära der Roboter gepredigt wird.

Dar el Bacha Marrakech

 

Ich hatte mich seit meinem letzten Besuch an der Art Basel im Frühling kaum mehr mit Kunst, beziehungsweise zeitgenössischer Kunst, auseinandergesetzt. Ich bin über den ganzen Sommer hinweg uninspiriert, gar resigniert gewesen. Das hochkapitalisitische Kunst-Tamtam hat mich dieses Jahr irgendwie stark mitgenommen, weswegen ich die letzten Monate kunst-müde gewesen bin. Aber in Marokko hat sich wieder etwas in mir geregt. Ich hatte wieder ein Gefühl der Verbundenheit mit “den schönen Dingen”. Keramiken, Webstoffe, Holzarbeiten und Perlketten haben mein Herz berührt. Und vor allen Dingen: Die Tradition dahinter. Zu sehen, wie Teppiche detailgetreu und nach jahrhundertealter Manier gewebt werden, hat in mir etwas wie Heimweh ausgelöst. Ein melancholisches, aber auch schönes, weil dankbares Gefühl. Vielleicht rührt das Heimweh daher, weil das Kunsthandwerk in unserem Umfeld so wenig präsent ist. Als sei es ein Relikt aus einer längst vergessenen Zeit. Automatisierung, Algorithmen und Digitalisierung diktieren unseren Rhythmus, geben den Takt vor. Dass aber irgendwo noch Kleider, Töpferware und Seifen von Hand, mit viel Hingabe, Geduld und Tradition hergestellt werden, war mir in meiner westlichen Naivität (oder gar Arroganz) gar nicht so bewusst. Hinter der Erstellung eines 50×50 cm grossen Stoffstückes mit Spitze stecken ungefähr 650 Stunden Arbeit.

Diese wiederentdeckte Wertschätzung für das Kunsthandwerk möchte ich nun weiter verfolgen. Ich finde es gerade in einer Zeit des digitalen Umbruchs ein höchst wichtiges Gut, das es als Zeuge unserer Menschlichkeit zu beschützen oder zumindest zu schätzen gilt. Jeder Stich, jeder Faden und jedes Gramm Lehm erzählt eine Geschichte. Und in der Summe ergeben sie unsere gesamte Geschichte der Menschheit.


 

Zwei Ausstellungen in Zürich

Du willst ebenfalls mehr Kunsthandwerk in deinem Leben? Dann empfehlen wir dir zwei fantastische Ausstellungen im Museum Rietberg. Gänsehaut garantiert!

 

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