Days Are Dogs: Camille Henrot im Palais de Tokyo Paris

 

Bereits zum dritten Mal hat das Palais de Tokyo mit der Carte Blanche einem/einer KünstlerIn die Chance geboten, die kompletten Räumlichkeiten des riesigen Ausstellungsraums alleine zu bespielen. Camille Henrot stellt in Days Are Dogs die grossen Fragen zu unserer Existenz und arrangiert sie um das Konzept der sieben Tage einer Woche.

Years are measured by the journey of the Earth around the Sun; months derive from the position of the Moon; days correspond to a rotation of the Earth. The week, by contrast, is a fiction, a human invention. Yet that does not diminish its emotional and psychological effects. We experience it as a narrative cycle, structured by the particular qualities of its component days.

Days are Dogs hinterfragt die Beziehungen zwischen Autorität und Fiktion, die unsere Existenz bestimmen, heisst es im Beschrieb zur Ausstellung. Arbeiten der gebürtigen Pariserin (*1978) waren bereits öfters im Palais de Tokyo zu sehen und setzen sich auch in der aktuellen Ausstellung aus vielen unterschiedlichen Multi-Media-Elementen zusammen. Henrot greift dabei auf einen intensiven Forschungsprozess zurück, der sich von der Geschichte des Universums über Mythen, Religion bis hin zur Grenzen des menschlichen Wissens spannt.

Days Are Dogs, gestartet im Oktober 2017, ist eine Ausstellung, die international Beachtung findet. Die New York Times und die ZEIT schreiben darüber, das Interview Magazin redet mit Henrot darüber, wir schauen uns das Ganze natürlich an. Und weil wir zwar beide die Ausstellung gesehen haben, aber nicht zusammen drin waren, besteht der heutige Beitrag aus unserer WhatsApp-Kommunikation über das, was wir gesehen haben:


 

JOELLE
Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen die Ausstellung anzuschauen?

ANN
Mjoa, drauf gekommen irgendwie, weil ich es irgendwo gelesen habe…Henrot als eine Art Shootingstar kriegt nun die Carte Blanche, du hast glaub öfter davon erzählt und ausserdem Palais-de-Tokyo-Liebe!

JOELLE
Und wie fandest du sie?

ANN
Also, ich hab extra mit noch niemandem drüber geredet und nicht allzu viel drüber gelesen (weil das immer den Eindruck schon lenkt, finde ich) und muss echt sagen: ich fand die Ausstellung nicht den Oberbrüller.

JOELLE
Wieso denn?

ANN
Mir kommts ja sehr auf die unmittelbare Wirkung von der Ausstellung an, gerade im PdT, wo die Räumlichkeiten es einfach nahelegen, dass man etwas total Flashendes auf die Beine stellt. Und Henrot ist doch bekannt für ihre Monumentalkunst, da war meine Erwartung, dass bei der Kombi halt was Krasses rauskommt.

ANN
Du wollstest sie unbedingt schauen gehen, oder?

JOELLE
Ja voll, ich hatte halt schon ziemlich viel über Camille Henrot und die Ausstellung Days are Dogs gelesen. Ich finde sie als Künstlerin super sympathisch. Ich mag es, dass sie sich mit ihrer Kunst den grossen Themen der Weltschöpfung widmet. Sie stellt Fragen nach dem Sinn des Lebens. Und stellt Chaos und Ordnung gegenüber. Themen, die mich halt selbst ziemlich faszinieren.

ANN
Hast du schon mal was vorher von ihr gesehen? In den letzten Jahren gabs ja recht viele Meilensteine bei ihr, Biennale Venedig, diverse Awards und so..

JOELLE
Nein, ich hatte noch nie was von ihr gesehen. Aber ich war schon ein bisschen enttäuscht, dass für Days are Dogs vergangene Ausstellungen einfach ‘tel quel’ nochmals ausgestellt wurden, einfach in einem neuen Kontext.

ANN
Jaaa, das hat mich mega überrascht! Gerade wenns um solche thematisch unerschöpflichen Themen wie Universum und Chaos und Zeit geht, da gäb’s doch noch einiges an Material.

JOELLE
Hätte ich eben auch erwartet! Beispielsweise The Pale Fox: Die Installation war zuvor schon in Paris, London, Berlin und Kopenhagen zu sehen. Und jetzt wurde sie einfach als Sonntagabend präsentiert.

 

JOELLE
Ich meine, es war schon klar. Ausgangspunkt für Days are Dogs war ja ihre Ausstellung Monday in der Fondazione Memmo in Rom. Der PdT hat sie einfach dazu eingeladen, die Idee von Monday weiterzuentwickeln.

ANN
Ok, das macht ja Sinn, aber wenn man einfach ein anderes Ausstellungskonzept nimmt und es mit irgendeinem Tag betitelt, dann wirkt das doch total willkürlich..
Hehe, vielleicht ist das ein Verweis auf die Willkürlichkeit mit der ja auch die Woche als Zeitkonzept konstruiert ist?

JOELLE
Übrigens sind quasi alle Werke aus Monday, die im PdT zu sehen waren, bereits gekauft. Um die 100’000 Euro soll jede Skulptur in etwa gekostet haben…so als Randbemerkung.

ANN
Das ist halt schon heftig! Das sind ja um die 15 Figuren, die da zu sehen sind!

JOELLE
Ja, krass oder?
Noch zum Thema Willkürlichkeit: Fand ich eben auch. Ich hab mich zwar gefreut, The Pale Fox endlich zu sehen, es hat mich auch total geflashed. Aber ich fands dann trotzdem ein bisschen lame, dass alte Ausstellungskonzepte einfach “mit irgendeinem Tag betitelt worden sind”. Hätte da schon mehr Schaffen erwartet.

ANN
Hast du von der Ausstellung 2017 in der Kunsthalle Wien gelesen? Da sind alle Werke extra dafür entstanden.

JOELLE
Echt? Nein das wusste ich nicht!

ANN
…und dann im PdT verwurschtelt worden. Der erste Saal im UG (glaub Dienstag war das) mit den Matten und den Judo- oder was-auch-immer-für-eine-Kampfsportart-Videos.

ANN
Der Raum war ja gross mit den Turnhallenmatten ausgelegt. In Wien mussten aber die Ausstellungsbesucher zwangsläufig die Schuhe ausziehen und konnten nicht wie im PdT einfach an der Seite vorbeilaufen. Das kommt mir dann konsequenter immersiv vor.

JOELLE
Ich glaube Taekwondo (schreibt man das so?) 😅

ANN
Haha, keine ahnung

JOELLE
Ha! Also das finde ich jetzt echt schon ein bisschen dreist. Auch “The Office of Unreplied Emails” wurde für die Berlin-Biennale konzipiert und jetzt einfach als Mittwoch gezeigt.

JOELLE
Eben, also auch wenn das in das Gesamtkonzept von Camille Henrot hineinpassen würde, durch Ordnung neue Bedeutung zu schaffen und die Willkürlichkeit von Kategorien vor Augen zu führen…finde ich das jetzt schon ein bisschen bequem.

ANN
Boah, den Raum fand ich eh schlimm. Hatte dann gar nicht mehr den Nerv, um mich da richtig einzulesen, um was es sich bei den riesen Rollen Papier überhaupt handelt. Rein vom Namen hab ich erschlossen, dass es einfach ausgedruckte Spam-Emails (weil unreplied Emails) sind. Dabei ist es ja quasi das Gegenteil?

JOELLE
Sie hat auf ca. 100 Massenmails und unerwünschte Online-Angebote höfliche, persönliche Briefe in Handschrift verfasst!

JOELLE
Die Idee finde ich schon ganz witzig. Aber bis man zum Donnerstag gelangt hat man bereits Sa, So, Mo, Di und Mi gesehen. Nach so vielen Eindrücken ist man gegen Ende einfach erschlagen.

ANN
Gell, ich war auch total fertig, als ich dort rausgekommen bin.

JOELLE
Ich hab das Gefühl dir hat die Ausstellung nicht so gefallen insgesamt, kann das sein?

ANN
Mjaah, mir hat die Poetik in Days are Dogs einfach gefehlt. Die Ausstellung in Wien hiess If Wishes Were Horses, was rein vom Titel schon viel leichter und assoziativer wirkt und, wie man so drüber liest, auch scheinbar verhebt. Die Dogs im PdT kamen mir aber eher überladen und unzusammenhängend vor, wenn man die Gesamtheit der Woche durchläuft….und dann geht so ein Konzept wie die handgeschriebenen Spam-Antworten leider unter. Das find ich nämlich auch, dass es eine sehr nice Idee ist!

ANN
Das kommt doch vielleicht daher, dass sie aus Ausstellungen zusammengewürfelt wurden, nicht? Die beabsichtigte Wirkung war ja bei den verschiedenen Tagen im Originalkontext immer eine andere…das macht schon etwas für das neue Gesamtbild aus. Kriegt man noch Infos aus dem Ausstellungskatalog, die einem weiterhelfen? Du hast ihn ja gekauft, oder?

JOELLE
Ja, da ist ziemlich viel drin! Hab aber noch nicht genau reingeschaut! Ich hab mir den Katalog vor allem deshalb gekauft, weil mir die einen Beschreibungen der Tage so gut gefallen haben. Das war das Einzige, das irgendwie einen Gesamtkontext geschaffen hat in meinen Augen. Einen gewissen roten Faden.

JOELLE
Mir ist auch aufgefallen, dass die Beschreibungen, die mir am Besten gefallen haben, automatisch auch meine Lieblingstage der Ausstellung bestimmt haben. Die Texte, die ich am poetischsten fand, haben mich irgendwie berührt und gleichzeitig mein Erleben beeinflusst.

ANN
Die waren ja auf Englisch und Französisch jeweils angeschrieben…Ist dir aufgefallen, dass das unterschiedliche Texte waren?? Das hat mich sehr amüsiert…wenn du Französisch verstehst, hast du vielleicht einen komplett anderen roten Faden😅

JOELLE
Haha ja das wollte ich gerade sagen!!!

ANN
Hast du sie auf fr gelesen und schön gefunden?

JOELLE
Ja! Eben. Die auf Franzöisch waren wahnsinnig schön. Die von Camille de Toledo vor allem. Ich hatte dann ein bisschen Mitleid, als mein Freund sich darüber beschwert hat und meinte: Na super! Das sind ja viel kürzere Text auf Englisch!

JOELLE
Und als ich ihm dann die Texte auf Französisch übersetzt hatte, meinte er: Kein Wunder gefällt dir die Ausstellung um einiges besser als mir. Da steht ja auch was Gutes drin.

ANN
haha, so gut!

JOELLE
Hier zum Beispiel. Der Sonntag war definitiv mein Lieblingstag.

 

JOELLE
Wie hast du es gemacht? Hast du beide Texte gelesen?

ANN
ahjaa? Das überrascht mich irgendwie, für mich war der Sonntag zwar sehr entspannt (ich mochte die Musik im Raum), aber ich fand die Fülle an Sachen nicht überzeugend.

ANN
Ja, ich hab beide Texte gelesen und automatisch den Link dazwischen gesucht. Aber das war meistens sehr unterschiedlich und hat nicht wirklich funktioniert. Ich bin auch mehr von meinem eigenen Wertsystem der Wochentage ausgegangen und habe mich nicht so sehr von den texten leiten lassen, merk ich gerade.

ANN
Trotzdem fand ich Montag am besten, was ja nicht gerade der Lieblingstag der Woche ist.

JOELLE
Das ist mir auch aufgefallen! Die Texte auf Französisch und auf Englisch waren so unterschiedlich, dass Sie eigentlich nichts gemeinsam hatten!

ANN
Ich hab auch keinen einzigen fotografiert, bin grad nochmal meine Fotos durchgegangen..

JOELLE
Das finde ich eine gute Herangehensweise! Dann hast du also deinen eigenen roten Faden entwickelt. Ich denke auch, dass sich die Ausstellung auch wirklich mehr dazu eignet, um sich einfach berieseln zu lassen. Ein bisschen die Hallen durchwandern. Schlendern. Spielen (Man darf ja vieles anfassen). Etc.

JOELLE
Für so einen Nachmittag eignet sich ein Abstecher ins PdT schon. Ob man die Ausstellung dann im Kontext der Wochentage verstehen will oder die Installationen einfach ohne Bedeutungsrahmen versucht zu erleben, kann ja jeder für sich entscheiden.

ANN
Aber würde dann ihr Konzept noch aufgehen? Ich hab schon das Gefühl, dass sie jemand ist, deren Kunst man umso mehr zu schätzen weiss, wenn man viel Background-Infos hat.

JOELLE
Nicht unbedingt. Mich verwirrt sie ja geradezu. Und das will sie ja vielleicht gerade aufzeigen. Es hilft vielleicht gar nicht, wenn man mehr weiss. Wenn man sich mehr informiert hat und somit mehr Zuordnungen schafft. Am Schluss steht man trotzdem vor ein, zwei, drei Fragezeichen. Und am selben Punkt. Ordnung macht schafft oftmals nicht mehr Übersicht. Sagt Camille Henrot ja selbst! 😉

ANN
Ja voll, hab ein gutes, kurzes Interview von ihr dazu gefunden.

JOELLE
Oh cool! 😊 Schau ich mir gleich an!

 

JOELLE
Hat’s denn dein Bild von ihr irgendwie beeinflusst?

ANN
Ich hatte ja nur ein paar Info-Fetzen im Vorfeld von ihr und eine ungefähre Ahnung was mich erwartet, aber schon grosse Erwartungen was die Tradition vom Ausstellungsraum betrifft. Da muss ich sagen, hat sie mich etwas enttäuscht. Mehr Background, den ich mir im Nachhinein beschafft habe, hat mich auch bestenfalls ambivalent gestimmt. Ja, ihre einzelnen Raumkonzepte sind jedes für sich überzeugend und wenn man sich drauf einlässt lohnt es sich. Aber nein, der Gesamtbogen spannt sich meiner Meinung nach nicht über das komplette Days are Dogs…und bei der Carte Blanche, bei der es explizit um den GANZEN Ort geht, wie immer betont wird (immerhin 13.000 m2), ist das für mich essentiell.

ANN
Das Universum, Chaos, Zeit, Ordnung, Feminismus, Kolonialismus, …ist doch schon recht viel. Ich geb zu, ich brauch Ordnung, um da durchzublicken.

JOELLE
“Ordnung ist die Vorbedingung, um Chaos zu erkennen.” Das hätte es vielleicht schon ein bisschen mehr gebraucht. 😉

ANN
ahhhh der perfekte Schlusssatz!!!!


 

  • Hier geht es zum Vimeo-Video zum Hintergrund von Grosse Fatigue (2013), dem 13-Minuten Kurzfilm über die Entstehung des Universums, der an der Venedig Biennale 2014 mit dem silbernen Löwen ausgezeichnet wurde

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