Dark auf Netflix: so grau ist Deutschland

 

Mit Dark ist heute vor einer Woche die erste deutsche Serie für den Unterhaltungs-Giganten Netflix angelaufen und wird damit in 190 Ländern zu sehen sein. Sie spielt im kleinstädtischen Deutschland der 1980er Jahre, was allein schon aufgrund der Mode, Frisuren und Nena im Radio ein gruseliges Setting  ist. Hinzu kommen allerdings die mysteriösen Ereignisse, die sich mehr und mehr häufen.

“Wir vertrauen darauf, dass die Zeit linear verläuft.” Das ist der erste Satz, mit dem die Serie Dark beginnt. Unterlegt ist die tiefe Männerstimme aus dem Off mit dunklen Einstellungen und blechernem Brummen wie von den Tripods aus War of the Worlds. Ein riesiger Nadelwald, der Eingang zu einem Bunker, in seinem Innern Waffen, eine Gasmaske, Fotos und Zeitungsartikel von Menschen verschiedenen Alters, die an der harten Betonwand hängen und mit Fäden zu einem Netzwerk verknüpft sind. “Alles ist miteinander verbunden”, tönt die Männerstimme schicksalhaft aus dem Off.

In den ersten zehn Minuten passiert so einiges: Wir werden in den 21. Juni 2019 versetzt, ein schönes, altes Haus in einem üppigen Garten, auf dessen Dachboden sich gerade jemand erhängt. Der Mann mittleren Alters hinterlässt einen Brief, auf dessen Umschlag der Hinweis steht, ihn erst in der Zukunft, viereinhalb Monate später, zu öffnen. Die erste Folge trägt den Titel “Geheimnisse” und von denen scheinen alle Figuren einige zu haben.

Im Oktober 2016 starteten die Dreharbeiten in Berlin, geleitet von einem eingespielten Duo, das aus Regisseur Baran Bo Odar und Drehbuchautorin Jantje Friese besteht. Die beiden konnten 2014 bereits mit dem Hacker-Thriller Who Am I überzeugen, wie in allen Berichten im Vorfeld der Serie immer wieder betont wurde. So, habe ich das also auch gesagt, viel wichtiger nun aber die Frage: Wird mich Dark süchtig machen?

Der Auftakt hat es in sich und wirft verdammt viele Fragen auf. Neben dem mysteriösen Einstieg mit der Nicht-Linearität der Zeit und einem verschwundenen Jungen, wird in den ersten Minuten das Atomkraftwerk als Motiv der ständigen unsichtbaren Bedrohung eingeführt, in dessen Schatten sich die Kleinstadt Winden drückt. Etwas Handfestes! Doch dann ist da wieder dieser Wald, der in der feucht-nebligen Szenerie so schwer und geheimnisvoll wirkt, dass man gleich weiss, dass da einiges im tiefen Dickicht nicht mit rechten Dingen zugeht. Die stockfinstere Höhle, aus deren Innern plötzlich gruselige Geräusche kommen (erster fieser Schreckmoment!), weckt böse Erwartungen.

Alles ist tatsächlich miteinander verbunden
Mit der Einschätzung, ob die Probleme der Protagonisten weltlicher oder paranormaler Natur sind, spielt Dark im Pilot laufend. Die Szene vom Anfang auf dem Dachboden stellt sich als Alptraum von Jonas heraus, dessen Vater sich aber tatsächlich erhängt hat. Er greift direkt nach dem Aufwachen schwer atmend zu seinen Medikamenten, zu denen ihm sein Therapeut einige Szenen später beim Therapie-Spaziergang durch den Wald (!) dringend rät.

Dark ist eine Familienstudie. Die Handlung fokussiert sich auf die Figuren aus vier Familienmodellen, die alle miteinander verbandelt sind. Das macht es überschaubar, Winden ist schliesslich eine kleine Stadt, klar, da kennt man sich. Doch die Komplexität entsteht durch die verwobene Konstellation, wie Jonas Mutter, die eine Affäre mit dem Familienvater der beiden Teenies hat, die Jonas engste Freunde sind. Er ist auch gleichzeitig der Polizist der Stadt und im Fall des verschwundenen Jungen am ermittelt. Und er ist derjenige, dessen Bruder bereits vor 33 Jahren auf mysteriöse Weise verschwunden und nie wieder aufgetaucht ist. Und er wird derjenige sein, dessen jüngster Sohn kurz darauf auch noch verschwindet. ‘Es ist kompliziert’ könnte das Motto aller beteiligten Erwachsenen sein.

Die Teenie-Truppe scheint da erstmal einen Kontrast zu bilden mit ihren zarten Gehversuchen in Richtung Liebe und ihrer aufmüpfigen Überemotionalität unter den Geschwistern (“Mama, bist du dir sicher, dass der nicht adoptiert ist?!”). Wie passen da die Drogen rein? Fast überrascht es, wenn sich der Sohn des Kommisars da leger vor der ersten Schulstunde einen Joint ansteckt und sich von der vorbeilaufenden Freundin, die einen kurzen Zug nimmt, auch noch anhören muss, dass das Gras lausig sei. (Winden soll deutsche Kleinstadt sein, nicht vergessen!)

Darke Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
In dieser abgeschiedenen Ecke Deutschlands, in diesem verwunschenen, bösen Ort ist niemand glücklich. Der Einwand des Polizisten, als jemand vermutet der vermisste Junge könnte einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein, dass sich in Winden Fuchs und Hase gute Nacht sagen, ist absurd. Spätestens dann, als die Ebene der zeitlichen Überlappung aufgemacht wird. Vor 33 Jahren ist doch schon mal ein Kind verschwunden! Das vergisst das kollektive Bewusstsein der Kleinstadt doch nicht einfach so, schon gar nicht, wenn im Altersheim der verwirrte Alte sitzt und ununterbrochen murmelt “es wird wieder passieren..”.

Der erste Eindruck der Serie ist bedrückend. Das Atomkraftwerk, die Probleme und Geheimisse der Figuren, der ständige Regen – Dark vermittelt eine Härte. Im Vorfeld wurde die deutsche Produktion oft mit Stranger Things verglichen, da Genre und Setting mit verschwundenen Kindern ähnlich sind. Doch bei Stranger Things läuft die Geschichte darauf hinaus, dass alles gut wird. Man wartet förmlich darauf, dass sich die Leben der Figuren wieder einrenken und alles zum Alten zurückkehrt, wie sie es sich einfach verdient haben.

Bei Dark hingegen wirkt das Netz zu eng um die Figuren, selbst wenn die verschwundenen Jungs wieder auftauchen, wäre noch lange nicht alles in Ordnung. Dieser beklemmende Nebel, der über Winden hängt, wird sich nie lichten. Von den zahlreichen Artikeln, die in den letzten Tagen vor dem Start von Dark veröffentlich wurden, beschreiben die meisten Winden als klassisch deutsche Kleinstadt. In 190 Ländern schauen sich jetzt also Leute diese deprimierende Dorfhorror an und kriegen ein verregnetes Bild von Deutschland im Jahr 2019?

Um auf die Frage zurückzukommen, die ich mir selbst gestellt habe: Ja, ich bin direkt auf Dark hängen geblieben und habe die zweite Folge ohne Pause hinterhergeschoben. Es ist ein müder, kalter Samstag und es passt. Aber ob ich mir an einem gut gelaunten Abend die Depro-Pille aus Deutschland geben werde, bin ich noch unsicher. Ich werde auf jeden Fall weiter verfolgen, ob sich das Deutschland-Bild und Wetter in Winden im Lauf der ersten Staffel noch ein wenig aufhellt.


 

Alternativ: Andere deutsche Produktionen
Amazon hat mit Matthias Schweighöfers You are wanted Revier markiert, TNT zog mit 4 Blocks nach und Babylon Berlin von Sky (übrigens eine Kooperation mit den Öffentlich-Rechtlichen – soso) wird auch schon seit einigen Staffeln medial gefeiert. Vielleicht schau ich da mal rein.

 

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