Was wäre, wenn Konzeptkünstler vergessen?

Ich habe die Erinnerung an diese Woche im Winter 2014 weitestgehend verdrängt. Es war die unsägliche Zeit zwischen den Semestern, früher Februar vielleicht, eine sowieso schon trostlose Zeit, deren grauer Schleier durch die Woche Blockunterricht im Rahmen meines Masterstudiums nicht gerade gehoben wurde.

Ich war zuversichtlich, als ich mich für den Kurs entschied, er hatte den wohlklingendsten Titel von allen fünf Optionen: Erforschung von Welt durch die Methode des Gesprächs. Doch dass sich dahinter der Albtraum jedes Smalltalk-Phobikers verbergen würde, ahnte ich nicht. Im Prinzip ging es genau darum, was der Titel der Lehrveranstaltung nahelegt: man führt Gespräche und findet damit etwas heraus – um es platt auszudrücken. Oder man betreibt “Real Life Googlen”, wie es Till Velten nannte, der den Kurs als Gastdozent leitete.

Till Velten ist ein deutscher Künstler, der seit fast 20 Jahren Gespräche als Kunstpraxis führt. Er hat Bücher aus den Ergebnissen dieser Gespräche veröffentlicht, macht Klanginstallationen aus ihnen, wandelt sie zu künstlerischen Forschungsprojekten um. Das Zürcher Museum Haus Konstruktiv präsentiert den Sommer über Veltens Projekt zum Thema Demenz, das den Titel Wenn die kognitive Ordnung zerbricht trägt.

Die Basis der Ausstellung sind Recherchen und Gespräche des Künstlers mit dem Pflegepersonal und anderen Mitarbeitenden sowie Angehörigen von Bewohnern des Demenz-Kompetenzzentrums Sonnweid in Wetzikon. Die von Velten ausgewählten Textfragmente spiegeln ganz unterschiedliche Erfahrungen und Emotionen im Umgang mit an Demenz erkrankten Menschen wider – das Gefühl von Verlust des alten Lebens, sich verändernde Freundschaften, das neue Leben in der Sonnweid und den allgegenwärtigen Tod.

In unserem Blockkurs wurden wir am ersten Tag losgeschickt, um ein Gespräch mit einer fremden Person zu führen, das mindestens 5 Minuten dauern sollte. Neben der ohnehin schon gesprächshemmenden Tatsache, dass es verdammt kalt war und sich niemand freiwillig draussen auf der Strasse herumtrieb, um ein Schwätzchen zu halten, war die leicht verzweifelte und damit misstrauenserweckende Aura, die jeden von uns umgab, sicher nicht hilfreich. Es war für so ziemlich jeden im Kurs ein absoluter Reinfall; der Respekt vor Gesprächen war hergestellt.

Auch im Rahmen der Ausstellung sollen Gespräche geführt werden, das Ganze ist schliesslich als Forschungsprojekt angelegt. Velten hat bereits 2015 ein Buch zu den Demenzgesprächen veröffentlicht, doch die Sonderveranstaltungen, die als Gesprächsrunden angelegt sind, gehen insbesondere auf die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Krankheit ein: Was wäre, wenn Konzeptkünstler vergessen?

Ein spannender Aspekt eines ohnehin hochspannenden Phänomens. Erst durch den medizinischen und ernährungstechnischen Fortschritt werden Menschen alt genug, um Demenzerkrankungen als Negativfolge zu erleben. Wie geht eine Gesellschaft mit einem Problem um, das sie sich selbst geschaffen hat? Und vor allem mit einem, das an einem ihrer Grundpfeiler, des mündigen, selbstdenkenden Individuums, rüttelt?

Pietät verbietet es, Krankheit in Kunst umzumünzen, aber ihre künstlerische Thematisierung  könnte eines der interessantesten Projekte des Zürcher Kunstsommers hervorbringen. Auch die Beschreibung der Ausstellungsräume lässt aufhorchen. Von einer begehbaren Installation, einer Landschaft aus Swarovski-Kristallen, ist die Rede, in der einen Hälfte glitzernd bunt, in der anderen dunkel und bedrohlich. Heute Abend findet die Vernissage statt und ich werde trotz meiner Smalltalk-Phobie sicher dabei sein.

Ach ja, und den Blockkurs habe ich auch bestanden. Das Abschlussprojekt war eine Tonaufnahme eines Gesprächs und die Idee in ein wartendes Taxi zu steigen, hat mich gerettet. Im Taxi redet schliesslich jeder gern.


Till Velten: Wenn die kognitive Ordnung zerbricht

Museum Haus Konstruktiv
Selnaustrasse 25
8001 Zürich

Vernissage: 30. Mai 2018, 18 Uhr


GESPRÄCHSRUNDE I: 6. Juni, 18.30 Uhr

GESPRÄCHSRUNDE II: 22. August, 18.30 Uhr

Fachexpertinnen aus den Bereichen Kunst und Medizin sprechen im Rahmen der Ausstellung Till Velten – Wenn die kognitive Ordnung zerbricht über das Thema Demenz, über das Erinnern und Vergessen.

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