Ich liebe Mode – macht mich das oberflächlich?

 

Deine Schuhe sehen seltsam aus, wurde mir gestern gesagt. Ich habe es als Kompliment aufgefasst, ein gewisses Mass Extravaganz kann man ihnen nicht absprechen: Ich trug meine rosa Clarks Sommerschuhe, eine Abwandlung des Desert Boots Klassikers, dem die Ferse und Spitze abgeschnitten wurde und der mit einer farblich passenden Lederquaste über den Schnürsenkeln tatsächlich seltsam aussah. Vor zwei Jahren hatte ihn der Instagram-Algorhitmus in meinen Stream gespült und mich nach dem ersten Blick nicht mehr losgelassen.

Clarks Desert Kiltie – seltsam.

 

Ob der Schuh nun gefällt, ist Geschmackssache, doch es kann niemand bestreiten, dass er besonders ist, und letzten Endes sind es die ausgefallenen Teile im Kleiderschrank, die als modisch gelten. Eine schwarze Stoffhose ist ein Klassiker, aber erst ihre Ausführung mit zweistufigem Bund, leichtem Schlag, gekürztem Bein und einem butterweichen Wollstoff macht sie zu einem Stück Mode. Doch wenn man ehrlich ist: auch mit dem Klassiker ohne all den Schnickschnack wäre man gut gekleidet. Ein passender Schnitt, die richtige Grösse und es sitzt – alles andere ist extravagant und dient keinem anderen Zweck als von der Norm abzuweichen. Um aufzufallen, dem aktuellen Trend zu folgen oder ihn durch eine Neuinterpretation zu setzen. Alles keine Tugenden im klassischen Sinne, sondern alles Formen von Eitelkeit. Mode ist von Haus aus etwas Oberflächliches – nur, ist das denn so schlimm?

Ich war mit meinen seltsamen Schuhen gestern auf dem Weg zum African Fashion Talk im Museum Rietberg, einer Diskussion von Profis der Branche, die im Rahmen der Festspiele Zürich und der aktuellen Ausstellung Perlkunst aus Afrika stattfand. Es wurde die Zukunft der Fashionbranche des Kontinents besprochen, Trends und Herausforderungen beleuchtet und die Rolle der Medien in der Bekanntmachung von Labels und Designern diskutiert. Neben der Kuratorin der Ausstellung, Dr. Michaela Oberhofer, führte die Mode-Unternehmerin Beatrace Angut Oola das Gespräch mit der annabelle-Chefredaktorin Silvia Binggeli und dem Süd-Afrikanischen Designer Laduma Ngxokolo. Online-Marketing und Social Media hin und her, die tatsächliche Verfügbarkeit der Kleidungsstücke in Webshops und im Detailhandel würde eine wirkliche Veränderung bringen, war man sich einig.

Hässliche Sneakers für 800$?
In den letzten Jahren hat sich die Modewelt ähnlich wie zeitgenössische Kunst entwickelt: Ästhetik und Schönheit ist nicht (mehr) der ausschlaggebende Faktor, und handwerkliche Brillanz keine Garantie für die höchste Anerkennung. Ich gehe jede Wette ein, dass jeder kunstinteressierte Mensch, egal wie umfangreich sein Kontextwissen auch sein mag, schon Mal vor einem Werk stand und nicht wusste, was er damit anfangen soll.

Balenciaga Triple S

 

Das gleiche Gefühl kommt auf, wenn man das Preisschild einiger der unkleidsamsten – aber trendigsten – Kleidungsstücke anschaut. Seit sogar etablierte Luxuslabels wie Balenciaga mit ihrem klobigen Triple S Sneakern das Fashion-Game mitspielen und limitierte Streetwear-Kollektionen die Herzen der Fashionistas höher schlagen und sie stundenlang Schlange stehen lassen, kann man den Einzug einer gewissen Absurdität in der Modebranche nicht verleugnen. Ist das gute Mode? Eigentlich bräuchte es einen Ratgeber analog zu den Indizien für schlechte Kunst, über die Joëlle anlässlich der Art Basel geschrieben hat.

Fashion mit Geschichte
Die Pullover des Labels MaXhosa, dessen Geschichte sein Gründer und Designer Laduma Ngxokolo gestern vorstellte, kosten auch happige 280$. Der Preis setze sich einerseits aus den Kosten für die hochwertigen Merino- und Mohair-Stoffe zusammen, für die Süd-Afrika einer der wichtigsten Hersteller ist, den fairen Löhnen, die er den Leuten in seiner Produktion zahlt, und der Zeit, die in jedes einzelne Muster fliessen.

Es kann schlichtweg gutes Storytelling gewesen sein, doch am Ende war ich überzeugt, die Traditionen der Volksgruppe Xhosa, von der er abstammt, fliessen in jedes der bunt gemusterten Kleidungsstücke mit ein. Traditionell gilt nach dem Ulwaluko-Beschneidungsritual, das für die Xhosa-Männer den Eintritt ins Erwachsenenalter markiert, während der darauffolgenden 6 Monate eine bestimmte Kleiderordnung. Formelle Chino-Hosen, Hemden und Loafers, tendenziell elegant und auf jeden Fall langärmlig – doch nie in Süd-Afrika produziert oder von lokalen Brands designt.

Er zeigte Bilder von einer Gruppe junger Männer, die sich, in dunklen Tönen gekleidet, in betont lässiger Pose auf einem Ledersofa drapiert hatten. Fashion pur! Nur war durch die geschichtliche Aufladung dem Ganzen jede Oberflächlichkeit genommen, der ähnliche Stil der Jungs wirkte eher wie eine herrschaftliche Uniform als eine Verkleidung. (Man stelle sich nur eine Ansammlung von Jugendlichen im Einheitslook der 80er Mom-Jeans und Crop-Top vor, um zu sehen, was ich mit Verkleidung meine.)

Fashion braucht Sinn
Nun hat dieser geniale Designer sich einerseits einen Markt geschaffen (im Land produzierte Mode für das Beschneidungsritual) und gleichzeitig seinen Kollektionen eine Bedeutsamkeit verliehen, die dem Ugly Sneaker Trend schlichtweg fehlt. Hat er damit das Heilmittel für das Problem der oberflächlichen Modewelt gefunden?

Der klare Menschenverstand legt nahe – sagen wir mal – ein paar Schuhe für jede Wetterlage zu besitzen. Wenn es regnet, läuft niemand gerne in Sandalen durch die Gegend, wenn die Strassen gefroren sind, ist man um die dicke Sohle der Winterschuhe dankbar. Der Modeverstand jedoch schreit bei den gewagtesten Kombinationen auf – und die sind schier endlos. Weisse Cowboy-Stiefel? Riesige Sonnenhüte, auch wenn man nicht am Strand lebt? Übergrosse Jacketts mit passenden ausgestellten Palazzo-Hosen? Brauchen tut so etwas niemand, haben wollen aber schon. Wenn all diese Dinge über keine nachvollziehbare Funktion verfügen – und der Kleiderschrank ja eigentlich auch voll ist –, warum also Geld für etwas augenscheinlich Unnötiges ausgeben?

„Die Jugend in Süd-Afrika hat ein viel stärkeres Traditionsbewusstsein, als Leute in meinem Alter“, erklärte der Anfang 30-jährige Laduma. „Auf den Abschlussfeiern der Universitäten sieht man plötzlich wieder traditionelle Festkleidung. Die Millenials wollen Teil ihrer Kultur sein, wissen aber nicht recht wie.“ Wenn ein Pullover nicht nur Fashion-Statement ist, sondern Jahrhunderte von Tradition mittransportiert, wirken 280$ durchaus plausibler.

Mit dem entsprechenden Kontext entzieht sich das Kleidungsstück dem Stigma der Oberflächlichkeit. Dieser Ansatz ist zugegebenermassen keine Erklärung für den generellen Verschleiss von Trends, die sich alle halbe Jahr mit der neusten Kollektion für die kommende Saison ablösen, noch für den Vorwurf der Extravaganz. Doch nochmal die Frage von vorhin: ist Extravaganz denn überhaupt so schlimm?

Ja zu Extravaganz
Silvia Binggeli meinte am African Fashion Talk, dass nicht nur die neuen Design-Einflüsse und handwerklichen Fähigkeiten der Afrikanischen Labels die internationale Modewelt aufrütteln würden, sondern auch die Haltung gegenüber Mode, die sich von der Europas und Amerikas unterscheiden würde. Der Stolz, dem man in Afrika seinem gut gekleideten Äusseren entgegenbringt und die Sorgfalt, mit der das Erscheinungsbild präsentiert wird.

In der westlichen Welt würde der Sinn für Mode in einem Gegensatz zu Intellekt oder einem ernsthaften Interesse an den „wichtigen Dingen“ bedeuten. Klingt das nicht verdächtig nach einem spiessbürgerlichen Vorurteil? Nach einer Form von Zurückhaltung und Reserviertheit, die gerne mit einer vornehmen Form von Understatement verwechselt wird? Ganz im Sinne von wer wirklich etwas kann, der prahlt nicht damit. Und wer wirklich Geld hat, lässt es nicht raushängen. Doch dass ein Sinn für Mode und ein Interesse an der Branche Teil davon sein soll?

Trends kommen und gehen, die Ugly Sneakers werden irgendwann von den Strassen verschwunden sein und von einem neuen Schuhtrend abgelöst werden, und selbst die Muster von Ladumas Pullovern werden sich verändern. Das Einzige, was jeden Modeinteressierten vor den Vorwürfen von Oberflächlichkeit bewahrt, ist die eigene Einstellung zum System. Bedeutsamkeit statt unüberlegtem Nachkaufen, was Hefte und Influencer einem vorsetzen. Bedeutsamkeit kann wie bei MaXhosa aus der jeweiligen Geschichte des Labels kommen, aber ganz einfach vom Bezug, den man zu einem Kleidungsstück hat. Meine Lederjacke, die ich im ersten Urlaub mit meinen besten Freunden in Übersee gekauft habe, die ich wie einen Schatz bewahre, weil ich mich immer an den ersten Abend am Union Square in New York erinnern werde, als ich sie zum ersten Mal trug. Meine Acne Pistol Boots, die sich eine Jugendfreundin und ich an einem verrückten Wochenende beide gleichzeitig gekauft hatten, weil wir nun in verschiedenen Städten wohnten und nicht versehentlich im Partnerlook herumlaufen würden. Man wählt die Stücke, die man kauft, deshalb aus, weil sie für einen selbst bedeutsam sind.

So schloss ich in meinen Grübeleien nach dem Besuch im Museum Rietberg schliesslich Frieden mit der Modewelt und kann nun mit Sicherheit behaupten: Ich liebe Mode – und bin deswegen trotzdem nicht oberflächlich.


 

Noch bis 21. Oktober 2018 ist Perlkunst aus Afrika – Die Sammlung Mottas zu sehen

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