Vor ein paar Monaten habe ich auf einer Marokko-Reise das Kunsthandwerk wieder für mich entdeckt und hier darüber berichtet. Ich schrieb: “Ich hatte [endlich] wieder ein Gefühl der Verbundenheit mit “den schönen Dingen”. Keramiken, Webstoffe, Holzarbeiten und Perlketten haben mein Herz berührt.” Seither habe ich nicht aufgehört, mich intensiv mit Kulturgeschichte und traditionellen Handwerkstechniken auseinanderzusetzen. Die schönste Erfahrung war bisher der Besuch eines Raku-Grundkurses.
Keine Angst vor der Töpferscheibe nötig!
Keramiken haben es mir nebst Textilien am meisten angetan. Kein Wunder eigentlich, da ich als Halbperuanerin zu diesen beiden Formen des Kunsthandwerkes einen speziellen Zugang habe. Ich bin zwischen Huacos (ein Sammelbegriff für alle Formen peruanischer Keramiken) und Quipus (ein verknotetes Fadensystem, das den Inkas zur Buchhaltung diente) aufgewachsen. Als Kind haben mir diese Gegenstände beim Betrachten leise ihre mystischen Geschichten zugeflüstert. Diese Faszination, die sich daraus entwickelte, sollte wohl für immer währen.
Während einer meiner vielen Recherchen im Internet bin ich irgendwann bei Stefan Jakob gelandet, der bereits 1995 das Atelier Keramik & Animation in Zürich gegründet hat. Er hat sich auf die japanische Raku-Technik und auf den entsprechenden Ofenbau spezialisiert. Ich buchte ohne zu zögern einen 3-tägigen Grundkurs, der über ein ganzes Wochenende und den darauf folgenden Samstag dauern würde. Ich wollte mehr über diese ursprüngliche Technik erfahren, bei der man vor allem mit der Hand arbeitet. Ich musste mich also meiner Angst vor der Töpferscheibe nicht einmal stellen.
American Style Raku vs. Japanisches Raku
Neugierig und ohne Vorwissen habe ich mich am ersten Kurstag, einem sonnigen Samstagmorgen im März, zu Stefans Atelier an der Zweierstrasse aufgemacht, um mich in das Abenteuer Raku zu begeben. Vor Ort erwartete mich bereits eine aufgestellte Gruppe vorwiegend junger Frauen mit den unterschiedlichsten Hintergründen – aber mit derselben Offenheit und Begeisterungsfähigkeit wie ich. Während des Kurses haben wir unter anderem erfahren, dass die Raku-Technik in Kyoto des 16. Jahrhunderts zum Brennen der Trinkschalen für die Teezeremonie entwickelt wurde. In Amerika wurde diese keramische Technik jedoch zu dem weiterentwickelt, was wir heute vorwiegend im Westen unter Raku verstehen: Das typische “Krakelée”, das unter anderem dank der spezifischen Brennmethode entstehen kann, ist bezeichnend für das “American Style Raku” und gar nicht so japanisch, wie wir es gerne hätten. Ich war ein wenig verblüfft, als ich das erfuhr. “Oftmals ist das, was wir für japanisch halten, im Grunde überhaupt nicht japanisch.”, lachte Stefan. Er zeigte uns daraufhin Bilder von echten Raku-Schalen. Alle staunten. “Das überrascht mich jetzt ein wenig, denn meiner Auffassung nach ist japanische Ästhetik geprägt von Perfektionismus.”, entgegnete ich. Ein Teilnehmer schüttelte den Kopf und murmelte vor sich hin: “Wabi-Sabi.”
Das ästhetische Konzept Wabi-Sabi
Wabi-Sabi ist ein japanisches ästhetisches Konzept, das eng mit dem Zen-Buddhismus verbunden ist. Wabi bedeutete ursprünglich sich elend, einsam und verloren zu fühlen. Dies wandelte sich zur Freude an der Herbheit des Einsam-Stillen. Aber erst in der Verbindung mit Sabi, alt sein, über Reife verfügen, entstand die eigentlich nicht übersetzbare Begriffseinheit. Nicht die offenkundige Schönheit ist das Höchste, sondern die verhüllte. Die knorrige Kiefer, der leicht berostete Teekessel oder die pollenbedeckten Fensterscheiben entsprechen diesem Schönheitsideal. “Japanische Ästhetik hat nur insofern etwas mit Perfektion zu tun, als dass du sie in der Imperfektion wiedererkennen kannst. Das ist Wabi-Sabi”, ergänzte Stefan. “Das einzige, das ich euch in diesem Kurs garantieren kann, ist, dass garantiert nichts so rauskommen wird, wie ihr euch es vorgestellt habt. Das ist Raku.”
Und plötzlich befand ich mich mitten im Flow-Zustand
Bereichert mit dieser neuen Erkenntnis verbrachte ich die nächsten Tage damit, haufenweise Ton auszuwallen, zu kneten und zu formen. Schlicker, Terra Sigillata und Schamott wurden zu meinem neuen Hauptvokabular. Auch meiner Angst vor der Töpferscheibe musste ich mich kurz stellen, aber es handelte sich dabei nur um eine manuelle, kleine Drehscheibe, die wir für kleinere Aufsätze brauchten. Ich hatte bei den Arbeiten so viel Spass, dass ich sogar vergass, mein Handy hervorzuholen. Zeit und Raum schienen sich aufzulösen und ich befand mich, ehe ich mich versah, im berühmt-berüchtigten Flow-Zustand.
Für die Glasur- und Brennarbeiten mussten wir am letzten Tag aufs Land fahren. Die glasierten Gegenstände wurden in den bereits hochgeheizten Ofen eingesetzt und glühend mit einer langen Zange bei Temperaturen um 1000 °C entnommen und in einen Behälter voller Sägemehl luftdicht eingebettet. Dass wir während diesem Prozess tonnenweise Rauch einatmen würden, gehörte wohl zur “beim-Raku-weiss-man-halt-nie”-Philosophie. Wie dem auch sei, am Ende des Tages hatte ich ein Ergebnis in der Hand, das zwar nach Kohle stank, aber irgendwie ganz schön aussah.
Ich hatte nach nur drei Tagen bereits mehrere Gefässe mit verschiedenen Techniken vollständig hergestellt und obendrauf herausgefunden, dass ich durchaus noch in der Lage bin, stundenlang konzentriert an etwas zu arbeiten. Mit meinen eigenen Händen. Aus meiner eigenen Kreativität heraus. In Verbundenheit mit Mutter Erde und mit unserer Kulturgeschichte. Es wird wohl nicht umsonst sein, dass Raku “Freude” heisst.
Interessiert? Dann schau dir hier das aktuelle Kursangebot an. Der nächste Raku-Grundkurs findet im August statt.