Züri brännt. Und wofür brennen wir?


«Wir haben ja alles, wozu sollten wir heute noch auf die Strasse gehen?»
Wir laufen die Langstrasse entlang, vor der Unterführung, aus der Richtung des Limmatplatzes, wo es selbst am Samstagabend noch ruhig ist. Bald sind es 40 Jahre, dass einige Meter weiter – nach der Unterführung – Steine geworfen, und mit Wasser und Gummischrot geschossen wurde, um die Aufmüpfigkeit der Jungen niederzuschlagen.

Wir kommen aus der Photobastei, wo wir am Punk-Filmfestival gerade den Film Züri brännt gesehen haben. Das Publikum bestand aus zwei Freundinnen und mir und eine Handvoll Leute, die eigentlich zu alt wirkten für die Art wie sie redeten und sich kleideten und einen Joint nach dem anderen rauchten, sodass uns allen die Augen tränten, nur weil wir die 1:40h, die der Film dauert, im selben kleinen Räumchen verbracht haben. Alt-Punks, Fossile jener Zeit, in die wir gerade abgetaucht waren. Einer Zeit, als Zürich Schauplatz von aufeinanderprallenden Ideologien war. Als man noch für etwas einstand. Als es sich noch lohnte, zu kämpfen. Im Nachhinein wird alles immer in Pathos mariniert, dafür ist Geschichte schliesslich da.

© Filmcoopi

Der Film erschien 1981 und zeigt die Jugendbewegung aus Sicht der Aktivisten und ist eher Pamphlet als Dokumentation. Nachdem der Stadtrat 60 Millionen Franken für die Renovierung des Opernhauses auftrieb, aber das autonome Jugendzentrum nicht genehmigte, wurde vor dem Opernhaus im Mai 1980 demonstriert, um Aufmerksamkeit auf die zweifelhafte Kulturförderung der Stadt zu lenken. Die Demo der Verfechter des Jugendzentrums eskalierte und trat wahre Strassenschlachten mit der Polizei los, die den Anfang einer Protestwelle markieren, die den ganzen Sommer anhalten sollte – der Sommer, in dem Züri brännt.

Wofür brennen wir?

Das war damals, jetzt ist heute. Ich bin gespannt, was man in Zukunft über unsere Zeit sagen wird, wenn sie irgendwann zu Geschichte eingedampft ist. Sicher nicht, dass wir alles hatten, denn dafür geht es uns allen latent zu schlecht. Zu viele Gespräche in letzter Zeit drehen sich um Sinn, Suche, Rückenschmerzen und Schlafprobleme. Wenn man uns zuhören würde, könnte man meinen, wir wären Ende 40.

Ich erinnere mich noch an die allererste Uni-Woche, als der Professor uns halbe Kinder warnte, dass wir hier falsch wären, wenn wir Journalisten werden wollten. Da sassen wir ganz am Anfang und waren schon falsch und blieben trotzdem dabei und hielten die 180 ECTS durch oder nicht – wechselten höchstens die Fachrichtung, wo wir vermutlich auch falsch waren. Schliesslich hatten uns die letzten 13 Jahre Schulsystem für diesen nächsten logischen Schritt vorbereitet; irgendwie muss man doch von dieser formlosen, aufmüpfigen Masse, die die Jugend ist, in die gesellschaftsfähige Form geknetet werden.

© Filmcoopi

Und später wurden wir zu Hunderten aus den Vorlesungssälen in die Welt gespült, den Kopf voller Theorie, die ja die falsche war – man hatte uns gewarnt! – um den nächsten logischen Schritt anzutreten. Inzwischen sind einige Jahre vergangen und man freut sich, wenn der erste Lohn über Praktikantenniveau auf dem Konto ist, denn paradoxerweise ist das Leben mit der Zeit immer teurer geworden, obwohl man weniger davon hat. Manchmal ist es besser, wenn der Nacken vom vielen Sitzen vor dem Computer so steif ist, dann schaut man weniger zurück und merkt nicht so oft, dass wir ziemlich bald nach dieser ersten Uni-Woche 40 geworden sind.

Wie könnten wir also behaupten, wir hätten alles, wenn uns diese entscheidenden Jahre abhanden gekommen sind, in denen wir frei gewesen wären Steine zu werfen oder nicht, oder uns mit Freude statt im Dauerstress auf die nächsten logischen Schritte zu stürzen oder die Suche nach etwas anderem zu beginnen – ohne diese elende ich-gönne-mir-mal-eine-Auszeit-Mentalität, die eigentlich auch nur kaschiert, dass sie eine Massnahme ist, um wieder erfrischt, effizient und gesellschaftsfähig weiterarbeiten zu können.

Es ist nur so schwierig dafür auf die Strasse gehen. Wem würde man denn die Steine entgegenschleudern, wenn nicht uns selbst, die wir an unseren Rückenschmerzen und durchwachten Nächten, weil die Präsentation Ende der Woche fertig sein muss, ja eigentlich selbst Schuld sind?

Vor nun bald 40 Jahren brannte Zürich vom Frust der Jugend, so erzählen wir uns die Geschichte inzwischen. Heute ist unser grösstes Problem, dass wir uns selbst einreden, alles bereits zu haben.

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